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HORNER Magazin | März-April 2015

HORNER Magazin | März - April 2015 59 samkeit, das Erlebte muss mithilfe von Entla- stungsgesprächen durch die psychologische Be- treuung im ION verarbeitet werden. Es sind Jungs, teils fast noch Kinder, die hier nach ihrer Ankunft in Deutschland eine Weile zusammen leben. Davor kamen sie in der Zentralen Auf- nahmestelle auf eine Warteliste und von der Steuerungsstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vom Amt für Soziale Dienste in Bre- men wurden sie hierher vermittelt. Und so kommen sie hier zusammen, um ihre ersten Schritte in Richtung Normalität zu gehen. Durchschnittlich bleiben sie drei bis fünf Mo- nate im ION, wo sie Deutsch lernen und einen Schulplatz bekommen sollen. Rund 30 Mitar- beiter des ION unterstützen sie – und auch die ehrenamtlichen Helfer. Die Deutschlehrerinnen begannen mit Boule. Zum Kennenlernen, Annähern. Doch schon nach dieser ersten Begegnung kam das Feed- back: „Das war schön, aber jetzt wollen wir Deutsch lernen!“ Heute gibt es neben Inge Hajen und Hildegard Vogt weitere Deutschun- terricht-Teams, auch ein Deutsch-Frühstück soll nun dazukommen. Die Unterrichtenden sind ehemalige Lehrer, ein Physiker – und ein Ab- iturient. Dieser Abiturient ist Jakob Maess. 2014 hat er Abi am Kippenberg-Gymnasium ge- macht, jetzt bereitet er sich auf sein Musikstu- dium vor. Musiker und Musiklehrer möchte er werden. Als Inge Hajen ihn ansprach, ob er nicht mitmachen wolle, war er zunächst unsi- cher, ob er der Aufgabe gewachsen sein würde. Er startete im November 2014 zunächst im Team mit Inge Hajen – und erfuhr schnell, wel- che Grenzen ihnen gesetzt waren: die ver- schiedenen Leistungsstandards, die fehlenden Erfahrungswerte, die unterschiedlichen Grup- pengrößen... Ein Unterricht, wie wir ihn ken- nen, war nicht möglich. Doch es entwickelte sich schnell: Das Unterrichtsmaterial wurde er- arbeitet, die Schüler waren hoch motiviert und brachten neue Schüler mit und sich in den Un- terricht ein. Je nach Stimmung wurde die Zeit flexibel gestaltet, manchmal wurden einfach nur Spiele gespielt. Deutsch kann man in jeder Alltagssituation lernen. Jakob ist nahe dran an seinen Schülern, sein Alter und seine Persönlichkeit lassen viel Nähe zu den jungen Männern zu. Sie vertrauen ihm – und er ihnen. Er macht Ausflüge zur „Nacht der Jugend“, ins Übersee-Museum, spricht viel mit ihnen. Und sie öffnen sich, erzählen von ihren Wünschen und Hoffnungen, zeigen auch die Frustration, wenn sie an ihren eigenen An- sprüchen mal scheitern. Jakob ist beeindruckt von der Zielstrebigkeit und dem Leistungswil- len der jungen Männer. „Die Jungs sind hoch motiviert und stellen hohe Ansprüche an sich. Sie möchten etwas erreichen und sind sehr flei- ßig. Es ist eine tolle Aufgabe, die mir sehr viel gibt. Aber sie ist auch anstrengend und manch- mal frustrierend, wenn ich an meine Grenzen stoße. Strukturen und Regeln müssen gelernt und eingehalten werden, das ist teilweise schwierig. Aber ich werde auf jeden Fall wei- termachen, auch während des Studiums in einer anderen Stadt!“ Auch aus Jakobs Freun- deskreis kam ausschließlich sehr positives Feed- back zu seiner ehrenamtlichen Tätigkeit, einige würden auch gerne selbst mithelfen. Die ehrenamtlichen Helfer sind mehr als nur Deutschlehrer. Inge Hajen hat zu Beginn Stifte und Hefte organisiert, Unterrichtsmaterialien beschafft und zusammengestellt – aber auch Möbel und Haushaltsgegenstände gesammelt, wenn einer der jungen Männer aus dem ION in eine eigene Unterkunft umzog. Mittlerweile hat sie einen kleinen Vorrat bereit, aus dem sie die jungen Ausziehenden bedienen kann. „Diese Tätigkeit ist auch eine große Bereiche- rung für uns ehrenamtliche Helfer. Wer hätte nicht den Wunsch, das Beste aus seinem Leben zu machen? Der Wille, Fleiß und die Zielstre- bigkeit der jungen Männer sind bewunderns- wert! Es ist eine große und auch schwierige Auf- gabe“, so Inge Hajen. „Manche Hintergründe sind schrecklich, und es stellt sich uns oft die Frage, welche Möglichkeiten wir noch haben, über den Unterricht hinaus zu helfen.“ So tun sie alles ihnen Mögliche – von der Intervention beim Senator für Soziales und beim Senator für Bildung, beim Ortsamt, bei den Trägern der Ein- richtung, um eine schnellere Beschulung der jungen Männer zu erreichen, die oft wochen- und monatelange auf einen Schulplatz warten müssen. Aber sie backen auch Plätzchen in der Vorweihnachtszeit, sammeln Möbel und Ge- schirr, geben Tipps und Ratschläge in allen Le- benslagen. Sie begleiten die jungen Flüchtlinge bei ihren ersten und weiteren Schritten in ihrer neuen Heimat. Hildegard Vogt und Inge Hajen, die beiden ersten Deutschlehrerinnen im ION Mit Idealismus und viel Engagement dabei – Jakob Maess DEUTSCHUNTERICHT FÜR FLÜCHTLINGE HORNER Magazin | März - April 201559

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