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HORNER Magazin | 03.2012

HORNER Magazin | 03. 201240 n Deutschland sterben jährlich zwischen zwanzig- und dreißigtau- send Patienten an den Folgen einer Krankenhausinfektion, in den meisten Fällen ausgelöst durch das resistente Bakterium MRSA. Jörg Riemeyer, ehemaliger Gymnasiallehrer und Gastdozent an der Bremer Uni, hat für die Borniertheit der Ärzte und Politiker gegenüber die- ser Problematik kein Verständnis. „Da stirbt praktisch jedes Jahr eine Klein- stadt von der Größe Verdens, aber die Verantwortlichen unternehmen nichts“, empört sich der in Horn lebende Pädagoge. „Man muss doch etwas gegen diese Dinge tun!“, sagte sich Riemeyer schon vor längerer Zeit und thema- tisierte den Missstand in seinem Buch „Krank durch das Krankenhaus“, das im letzten Herbst erschien. „Die Ursachen“, weiß Riemeyer seit seiner intensiven Recherche, „werden von den Krankenhäusern weitgehend vertuscht.“ Verstürbe ein mit MRSA in- fizierter Patient, so laute die Todesursache in den meisten Fällen Herzversa- gen, Sepsis oder Multiorganversagen. Dass aber die zum Tod führenden Krankheiten nur die Folge einer Infektion mit MRSA seien, werde auf den Stationen und in den Todesursachenbescheinigungen verschwiegen. Rie- meyers Erklärung für diese Verschleierungstaktik: Krankenhäuser seien heute Wirtschaftsunternehmen, die ökonomisch denken müssten und sich keinen Patientenschwund durch Berichte über mangelhafte Hygiene leisten könnten. Auch das strake Zusammengehörigkeitsgefühl unter Ärzten, der so genannte Ehrenkodex, spiele hier eine große Rolle. Dagegen werde beispielsweise in den Niederlanden eine vorbildliche Ge- sundheitspolitik betrieben, erläutert Riemeyer. Dort habe man das Problem bereits bei dessen Aufkommen im Jahr 1990 sehr ernst genommen. Hierzu- lande gehe man immer noch zu leichtfertig mit Antibiotika um. Und auch die Hygienevorschriften für pflegendes Personal würden oft nicht eingehalten. Daher läge die Rate von MRSA-Infektionen in Deutschland bei bedenkli- chen 23 Prozent gegenüber weniger als einem Prozent in Holland. Jörg Riemeyer hat schon zu vielen Gesundheits- und gesellschaftskritischen Themen Texte publiziert. Insgesamt 70 Leserbriefe wurden von ihm in Ta- geszeitungen und Magazinen veröffentlicht. Als seinen größten Erfolg ver- bucht er hier sein Engagement zum Erhalt des Bremer Krebsregisters. Aus finanziellen Gründen sollte die vertrauliche Datensammlung von Krebser- krankungen unter der früheren Sozialsenatorin Karin Röpke abgeschafft wer- den. Riemeyer setzte sich per Leserbrief für ihren Erhalt ein und fand in der Bremer Lürssen Werft prompt einen Geldgeber, dank dem das Register wei- tergeführt werden konnte. Bei allem Einsatz für gesundheitspolitische Missstände greift der Horner Autor längst nicht nur kritische Themen auf. Sein größtes Steckenpferd und Gegenstand jahrzehntelanger Forschung ist das Werk des Wiener Psychiaters Viktor Frankl. Drei umfangreiche Bücher hat Riemeyer bereits über den 1997 verstorbenen Frankl veröffentlicht. Der große Visionär, der während des Nationalsozialismus drei Jahre in Konzentrationslagern inhaftiert war, gilt als Vertreter der Dritten Wiener Schule der Psychotherapie. Dennoch fin- det er gegenüber seinen Vorreitern erstaunlich wenig Beachtung. Fast jeder kennt Siegmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse. Auch Alfred Adler, der die Individualpsychologie entwickelt hat, ist vielen ein Be- griff. Bei Viktor Frankl aber, in Fachkreisen als der Sinntherapeut des 20. Jahrhunderts bekannt, muss selbst mancher Psychologe passen. Dabei hat gerade Frankl einen Therapieansatz entwickelt, die sehr viel praxistaugli- cher scheint als die Freudsche Trieblehre oder Adlers Erkenntnisse über den menschlichen Willen zur Macht. Logotherapie heißt die Lehre Frankls, die vereinfacht ausgedrückt eine Me- thode beschreibt, mit deren Hilfe jeder Mensch seinen persönlichen Sinn im Leben findet. Sie kann in vielen Bereichen eingesetzt werden, so etwa in der Pädagogik, der Arbeitswelt, Seelsorge oder Familientherapie. Und sogar auf eine ganze Epoche kann Logotherapie heilend einwirken, denn sie ist keine festgelegte Therapieform wie etwa die Tiefen- oder Verhaltenstherapie. Lo- gotherapie ist eher als Weltanschauung zu verstehen, als anthropologisch ge- prägte Wertelehre, die dem Einzelnen und der Gesellschaft zu mehr Humanität verhilft. Der Grundgedanke der Logotherapie besteht darin, dass jeder Mensch das Bedürfnis hat, seinem Leben einen Sinn zu geben. Insofern könnte sie gerade in unserer Zeit des Werteverfalls und der zunehmenden Leere Großes lei- sten. Jörg Riemeyer bedauert es, dass die Lehre Frankls so wenig Beachtung in unserer Gesellschaft findet. Als er vor rund vierzig Jahren zum ersten Mal von der sinnorientierten Therapie hörte, fühlte er sich sofort davon ange- sprochen, vor allem wegen des enormen Heilungspotenzials, das sie für In- dividuum und Gesellschaft in sich berge. Mit jedem Buch, das Riemeyer über den großen Sinntherapeuten geschrieben hat, ist er tiefer in die Mate- rie eingetaucht. Sein 2002 erschienener Band über den Therapieansatz Frankls wird heute als Vorbereitungswerk für akademische Prüfungen an Lo- gotherapieinstituten empfohlen. Erst vor wenigen Tagen fand in Ludwigsburg ein internationales Symposium statt, an der auch Jörg Riemeyer teilnahm. Das Motto der Veranstaltung, bei der es um die von Frankl begründete Logotherapie und ihre Weiterentwick- lung ging, lautete „Humor als Therapeutikum“. Denn Lachen, so erklärt der Buchautor, der mit einer Arbeit über Logotherapie promovierte, sei ein we- sentlicher Bestandteil der Lehre von Viktor Frankl. Es verleihe Lebenskraft und wirke nachhaltig gegen Resignation. Bezogen auf zukünftige Arbeiten hat Jörg Riemeyer noch keine festen Pläne. „Ich würde gerne mal ein Buch über Armut schreiben“, sinniert er auf die Frage nach seinem nächsten Projekt. Die Tatsache, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in unserer Gesellschaft immer größer werde, könne man doch nicht einfach so hinnehmen. Kurz darauf aber sagt Riemeyer: „Wahr- scheinlich gibt schon zu viele Bücher über Armut.“ I HORNER AUTOREN | JÖRG RIEMEYER Jörg Riemeyer schreibt Bücher über gesundheitspolitische und philoso- phische Themen „Man muss doch etwas gegen diese Dinge tun!“ TEXT & FOTO | ELISABETH GÄNGER

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