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HORNER Magazin | Winter 2012

HORNER Magazin | Winter 201120 KURIOSES | FÜHRUNG ÜBER DEN RIENSBERGER FRIEDHOF in Gutes hat diese Friedhofsführung auf jeden Fall: Egal, wen wir an seiner Grabstätte heute besuchen wollen, sie sind alle da.“ Mit dieser Philosophie begrüßt der Bestatter Bergmann von Hurrelberg sein Publikum zu einem illustren Rundgang über den Riensberger Friedhof. Schulmeisterlich werden vorab ein paar Fra- gen gestellt: „Wer weiß, welches der erste Friedhof der Stadt Bremen war? Was haben der Riensberger und der Waller Friedhof gemeinsam?“ – Ungehalten runzelt der strenge Bestatter die Nase, als keiner der Zu- hörer die Antworten weiß. „Unser Lieben Frauen Kirchhof“, belehrt von Hurrelberg die beschämten Zuhörer kurz. Und die Friedhöfe Walle und Riensberg seien an ein und demselben Tag im Jahr 1875 eröffnet wor- den. Dann geht es auch schon los, in for- schem Tempo auf das erste Etappenziel zu. Christine Renken alias Bergmann von Hur- relberg hat sich heute verspätet. Ein Stadt- führer, der eine Touristengruppe aus Riga durch die Hansestadt geleiten sollte, ist aus- gefallen. Deshalb war die perfekt Englisch sprechende Schauspielerin und Bremen-Ex- pertin bis kurz vor ihrem Einsatz als Bestat- ter noch für die Touristik-Zentrale unterwegs. Den abrupten Rollenwechsel merkt man ihr nicht an. Würdevoll schreitet sie, pardon, schreitet Bergmann von Hurrel- berg in dunklem Anzug und wallendem Be- statterkittel auf die anvisierte Station zu: Wilhelm Matthias Olbers, bekannt geworden als Astronom, aber – was kaum jemand wisse – im ersten BerufArzt. Und zwar nicht irgendein Arzt. Zu Beginn des 19. Jahrhun- derts, als die Giftmischerin Gesche Gottfried in Bremen ihr Unwesen trieb, sei es Olbers gewesen, der die Autopsie der Opfer durch- geführt habe. Ein Schnitt in die Magendecke und Olbers habe seine Diagnose gestellt: Verschlingung der Eingeweide. „Ein kapita- ler Fehler“, resümiert von Hurrelberg knapp und setzt seinen Rundgang unbeirrt fort. Hugo Schauinsland ist der Nächste, den wir „besuchen“. Dass es dem Gründungsdirektor des Überseemuseums gelungen sei, so viele Expo- nate aus aller Welt nach Bremen zu holen, gehe vor allem auf ein Ent- gegenkommen der Reederei Norddeutscher Lloyd zurück. Die nämlich habe sich bereit erklärt, alle exotischen Güter, die Schauinsland auf sei- nen Reisen sichtete, kostenfrei in die Hansestadt zu transportieren. Auch von einer seltenen Robbenart, die Schauinsland entdeckt habe, weiß der Bestatter zu berichten. „Monachus schauinslandi“, doziert er bedeu- tungsvoll und die Menge beginnt zu schmunzeln. Man weiß nie so recht, ob der erhaben wirkende von Hurrelberg sein Publikum gerade ver- schaukelt oder nicht. Aber tatsächlich! Ein nachträglicher Blick ins In- ternet verschafft Klarheit: Die nach Schauinsland benannte Robbenart existiert tatsächlich. Der Herr Bestatter mag zwar etwas ambivalent da- herkommen, aber mit geschichtlichen Informationen nimmt er es offen- bar genau. Wir lernen vieles an diesem Nachmittag. Interessantes aus der Historie einstiger großer Bremer, aber auch Kurioses. „Früher“, beklagt von Hur- relberg einmal wehmütig, „früher seien die Grabsprüche viel länger und aussagekräftiger gewesen.“ Und schon zi- tiert er: „Der Weg in die Ewigkeit ist gar nicht weit. Um sieben Uhr fuhr er fort, um acht Uhr war er schon dort.“ – Aha, das war jetzt also ein Beitrag aus der Rubrik Kla- mauk. Es handelt sich hier schließlich um eine Friedhofsführung der anderen Art. Nicht umsonst trägt sie den liebevoll anmu- tenden Titel „Guck mal, wer da liegt“. Und liebevoll ist die Art, mit der Christine Ren- ken zu Werke geht, zweifelsohne. Bei aller Strenge, die sie als Bergmann von Hurrel- berg demonstriert, sie beherrscht die schwierige Gratwanderung zwischen Ehr- furcht vor dem Schicksal der Verstorbenen und Comedy meisterhaft. Genau das sei ihr Motiv für die skurrilen Friedhofsführungen, erklärt Christine Ren- ken ihr originelles Genre. Sie wolle das Thema Tod, mit dem unsere Gesellschaft ihrer Meinung nach offener umgehen müsste, einmal anders beleuchten. Was spreche schließlich dagegen, Ereignisse aus dem Leben von Menschen, die Geschichte geschrieben haben, auf humorvolle Weise wiederzugeben? Wenn es um politische Opfer geht und Ernst angezeigt ist, genügt ein Haltungswechsel der gelernten Schau- spielerin und das Publikum lauscht sofort wieder respektvoll. So auch an der Grabstätte des einstigen Bremer Fi- nanzsenators Wilhelm Nolting Hauff, der wegen seiner jüdischen Vor- fahren im Dritten Reich verfolgt wurde. Auf mehreren Bremer Friedhöfen sowie in Hannover, Cuxhaven und auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg ist Christine Renken mit ihrer an- dersartigen Führung „Guck mal, wer da liegt“ unterwegs. Ihre rechte Hand bei der aufwendigen Recherche und Vorbereitung der Veranstal- tungen ist Karoline Lentz, die sie in all ihren Projekten unterstützt. Denn E Christine Renken alias Bergmann von Hurrelberg.